30. April 2016

Gestern morgen Ankunft Flughafen Pudong. 2001 kurz nach der Eröffnung zum ersten Mal dort angekommen. Damals beeindruckt durch die riesige, leere Halle, in der nur wenige Leute und Putzfrauen mit Mundschutz im Gesicht und ihren Putzwagen unterwegs waren. Dieses Mal erinnern mich die Gänge an die im Newarker Flughafen, ein bisschen heruntergekommen mit einem braunen Teppichboden, der Wellen schlägt. Lange Warteschlangen  in der Halle für die Passkontrolle. Große Aufregung am Schalter neben uns: ein älterer Mann mit wirrem Haar hat kein Visum. Die Beamtin ruft den Vorgesetzten. Mehr bekommen wir nicht mit. Wir sind schon fotografiert und die Pässe kontrolliert. Der Service ist perfekt: ein Mitarbeiter von China Tours erwartet uns schon, dazu ein Taxifahrer, der uns in die Stadt fährt. Es wird eine fast 2 stündige Fahrt auf der mit Lastern und PKWs aller Art übervollenß Autobahn. Beeindruckend die Grünanlagen zwischen und direkt neben den Fahrbahnen: Baumplantagen aller Art: Platanen, Ahörner, Ginkos,Linden, Pinien, alle in Reihen gesetzt, dazwischen Gräser und Kriechgewächse. Die Sockel von Überführungen mit Weinlaub oder Efeu überwuchert. Doch all die Produzenten von Sauerstoff verhindern nicht, dass die Smogwolke in der Luft die Welt drumherum in einen Schleier hüllt, ich leichte Kopfschmerzen bekomme und Achim schnieft.
Ankunft im Sunrise on the Bund, Hungiao, früher lebten hier viele Japaner, 1931 Schauplatz der Kämpfe zwischen Chinesen und Japaner, die China okkupieren wollten, was beim 2. Angriff 1937 hier gelang, ab 1942 auch Ghetto für die Juden, die auf Druck der Deutschen nicht mehr im International Settlement leben durften. Empfangen von drei Portiers in dunkler Livree, durch die imposante Eingangshalle mit riesigem Lüster zum Empfang in dem angrenzenden Raum geführt, wo wir in gemütlichen Sesseln vor dem Tresen Platz nehmen. Das Mobiliar hier und im Zimmer: gediegenes Chippendale, gepflegt mit allem technischen Komfort der Gegenwart. Ein Hotel der sog. gehobenen Klasse, und einem Zimmer im 15. Stock mit einem spektakulären Blick: über niedrige alte Gebäude auf das 20 stöckige Haus der China Shipping Company, ein 30 stöckiges Apartmenthaus über den Huangpu-Fluss hinweg auf die Skyline von Pudong, dem Shanghaier Finanzzentrum. Als wir 1999 hier waren, war der Oriental Pearl Tower mit 468 Metern Höhe  das höchste Gebäude. 2001 wurde es vom Jin Mao Tower überragt, jetzt ist der SHanghai Tower mit 632 Metern am höchsten! Eine Welt aus Hochhäusern! Ob alle genutzt und bewohnt sind?
Ich sitze am Chippendale Schreibtisch direkt vor dem Fenster und schaue hinaus auf die Skyline. Gerade fuhr einweißes Kreuzfahrtschiff vorbei, jetzt eine kleine Schute, jetzt ein Ausflugsdampfer, auf der anderen Seite des schlammgelben Flusses liegt eine große Jacht. Gestern Abend haben wir die Gegend bis zum Hafen durchwandert, ebenso spacy wie dieser Blick nachts: viele Gebäude in den grellsten Farben erleuchtet: rosa, gelb, grün, flimmerndes Weiß. Ein kleines Geländes am Fluss ist für die Natur reserviert: aber auch die ist ein Produkt menschlichen Wirkens, jedes Detail, jeder Baum, jedes Gesträuch, jede Pflanze nach Plan gesetzt, chinesische Gartenkunst, Wildwuchs nicht erlaubt.
Dagegen „wuchert“ es noch im Umfeld. Rotte Gebäude, in denen kleine Händler Shops oder Restaurants betreiben, gibt’s noch zu Hauf. “ Wie früher“, meinte Achim, als wir am Nachmittag aus unserem Hotel traten und auf das 3 stöckige Haus gegenüber schauten: Relikt aus des 20er Jahren des 20. Jahrhunderts, das seitdem nie renoviert wurde. Hier haben vielleicht auch Juden gewohnt. Auch in den rotten 2 stöckigen Häuser in mehreren Straßenzügen im Viertel. „Wie früher, noch rotter.“ In den Lilongs, den Gassen mit den Häusern, hängen Wäscheleinen voller Wäsche, stehen Möbel, Fahrräder Kinderwagen, Abfall. Frauen waschen in Schüsseln die Wäsche. Straßenläden mit Waren aller Art, Damenwäsche, Kosmetikartikel, Herrenhosen, und natürlich ein Straßenimbiss. Unsere ersten Jaudzes mit Gemüse gefüllt! Frisch aus dem brodelnden Topf vor dem Laden. Die Betreiberin, eine rundliche 50jährige Frau und rundem Gesicht und freundlichem Lächeln und dreckiger Schürze. Im Laden, in den zu setzen sie uns nötigt, 3 schmierige Tische, gebrauchte Servietten auf dem Fußboden. Nachdem wir bedient sind, wischt eine andere Dame den Boden, Lappen unter dem Fuß, die Servietten werden nicht aufgehoben. Mamafufu nannte meine Mutter solche Art des Putzen. „Wir sind eben in China. Die Chinesin müssen noch Hygiene lernen, anders als die Japaner“, meint mein Gefährte. Das habe ich früher auch gedacht.
Aber das „Rotte“ wird abgerissen, entsorgt: davon zeugen mehrere Zäune im Umfeld, dahinter riesige leere Flächen, auf denen vormals auch Lilongs gestanden haben müssen. Ich kann es den Stadtvätern nicht verdenken, dass sie das veranlassen. Traurig nur, dass damit eine Jahrhunderte alte Lebensform zerstört wird, auch, dass diese durch die Hochhauskultur ersetzt wird.
Aber auch hier hat sichschon viel verändert: die meisten Leute fahren nicht mehr Fahrrad, sondern Mofas. Erstaunlich, dass die selten knattern. Sind Sie elektrisch betrieben?
Was haben wir gestern noch erlebt?
Mit Taxi -sehr preisgünstig – vom Umfeld ins alte Zentrum, der Nanjing Lu, zugleich neues Zentrum der Konsumkultur. Achim fotografierte, ich shoppte etwas zum Schwimmen für den Hotelpool, den wir benutzen wollten und benutzten. Reinster Luxus. Mit Blick auf die schon nächtlich beleuchtete Skyline.
Auch: das U-Bahnnetz erkundet, das innerhalb der letzten 15 Jahren von 2  auf 12 Linien quer durch die Stadt erweitert wurde. Was für eine Leistung. Die Linie 10, die wir benutzten, mit modernstem Standard. Toiletten – Stehklos wie in Frankreich annodunnemals – leider nicht inbegriffen. Dann: dem Gelände der Tongji- Universität gebummelt, in der Nähe haben wir vor 15 Jahren gewohnt. Die riesige Maostatue steht immer noch da, aber sie wirkt nicht mehr so imposant, die Platanen rings um Platz davor sind hoch gewachsen, fast so hoch wie der steinerne Koloss.
Nach einem bescheidenen Abendmahl in einem kleinen -bis auf die klebrige Soyasausenflasche- fast sauberen Lokal in der Nähe erschöpft und unfähig, den Bericht zu tippen, ins Bett.
Leider konnte ich auch mit meinemVPN Programm nicht ins Netz. Vielleicht hilft mir Rüdiger in Deutschland.
Auf den Spuren meiner Familie – so heißt mein Projekt, für das ich das Stipendium erhielt. Hab ich gestern etwas entdeckt?
Das Wort: Mamafufu. Pidgin Englisch. Mein Chinesisch Wörterbuch verzeichnet es nicht.
Außerdem erinnere ich mich, dass die Familie hier in dieser Gegend gelebt hat 1918-1920, als sie nach dem verlorenen Krieg  nicht inIhrer Haus im International Settlement wohnen durften. Alles war konfisziert. Es existiert ein Foto dieses Hauses, ein kleines Bungalow, nicht vergleichbar mit der Villa vorher. Wir hätten da auch Gänse, erinnerte sich meine Tante.
Hier in der Gegend war auch der Godown der väterlichen Firma, das Lager. Mein Onkel wurde davor von den Japanern angeschossen, als er das Lager besichtigen wollte.

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