2. Mai 2016

Gerade versucht, ein Foto hier einzustellen, jetzt klappt das nicht, obgleich ich jetzt auf die Blockseite komme und Rüdiger so nett war, meinen Bericht vom ersten Tag hier einzustellen. 

Nach 30 Grad Hitze mit leicht vom Dunst getrübter Sonne gestern Smog und Regen. Werde euch nicht mit den Kleinigkeiten des Alltagsleben von Individualtouristen (z.B. Simkartenkauf ect.) belatschern, sondern gleich in Media res kommen: Ich steige aus der U-Bahn und stehe vor dem Cathay’s, dem Amateurtheater, in dem unsere Mutter und auch ihre Schwestern regelmäßig Lauf der Bühne standen.  Banale Aufführungen, ihre größte Rolle: die Eboli in Schillers Don Carlos. Sie deklamierte immer die Anfangssätze: Die schönen Tage von Aranjuez sind jetzt zu Ende. Könnte man als ihr Lebensmotto nach der Rückkehr aus Shanghai ins kriegszerstörte Deutschland deuten. Der Art-Deco Bau wird heute als Kino genutzt, viele Bauelemente sind noch erhalten: Die Eingangstür, der Fußboden, der Lüster.

Aber ich wandere nicht nur auf ihren, auch auf meinen Spuren, als ich die Huahai Lu heruntergehe,  Hier in der ehemaligen französischen Consession haben wir 1999 während unserer ersten Chinareise im Ruijin Hotel gewohnt. Eines der schönsten Viertel, finde ich, mit  zweistöckigen Shikumenhäusern ( sie haben im Erdgeschoss einen Laden). Manche noch immer unrestauriert, einige abgerissen und durch Hochhäuser ersetzt, einige Blocks für die Wohlhabenden im alten Stil wieder aufgebaut. Etwas für die Schickeria, ja, und mit wunderbaren Flair durch die Reihen von Platanen, die die Bürgersteige säumen und die Straßen wie Schirme überdachen. 1999 waren sie gerade gepflanzt worden. Damals haben wir die chinesischen Gärtner bewundert, die den Stamm recht großer Bäume mit Bast umwickeln, um sie unbeschädigt einsetzen zu können. Jetzt also das Resultat. Auch eine Maßnahme gegen den Smog.

Zu meiner großen Freude finde ich den alten  Jaudzes-Kiosk gegenüber dem Hotel wieder. Zwei offene Fenster,  riesige Wasserkessel mit brodelndem Wasser, darauf die Bambusstapelkörbe mit den Teigtaschen. Verständigung mit den Verkäufern, die zu dritt oder viert hinter der Theke stehen, mit Fingerzeichen.  In der Gegend finde ich auch den Old China Hand Reading Room, im Stil der 20er Jahre eingerichtetes Café mit Buchregalen voller englischer und chinesische r Literatur und einem Büchertisch mit den Werken von Tess Johnson und einem chinesischen Fotografen, die sich verdient gemacht haben mit Text- und Bildbänden zur Lokalgeschichte.  T.J. Hatte ich 1999 interviewt. An den Tischen sitzen vor allem Chinesen und Lesen. Ein angrenzender Raum ist mit chinesischen Möbeln ausgestattet. Wie still es hier ist. Alle sprechen mit gedämpfter Stimme. Eine Oase in der lauten Stadt.

Achim, der seine eigenen Wege gegangen ist, treffe ich wieder im Fuxin Park in der Nähe, unter der Marx- Engels Statue. Die ist nicht demontiert, wirkt aber weniger imposant, die Bäume ringsum, Ahörner, Platanen ect., haben sie überwachsen.  Chapeau an die Natur, die in diesem Park “ englisch“ angelegt ist, also ein bisschen wuchern darf. Auch die Menschen, viele Alte, aber auch junge, breiten sich eigener aus als an den zeitgenössischen Konsumtempeln: sie stehen in Gruppen zusammen und debattieren lauter als eine schnatternde Gänsehorde, sie lassen Tanzmusik aller Art vom Recorder abspielen und tanzen in Paaren oder für sich dazu, sie sitzen zusammen und kloppen Karten oder sprechen laut in ihr Handy.  Auch das haben wir damals erlebt. Es ist, als sei die Uhr stehengeblieben. Ein Trugschluss: die Bar 99 an der Ecke wird gerade zu einem riesigen Restaurant umgebaut, die Galerie nebenan, in der der Schweizer Helbling junge chinesische Künstler ausstellte, ist längst in größere Räumlichkeiten umgezogen und für die Schickeria in der Gegend wurde ein dem Old China Hand Bookstore ähnelndes Café an der Ecke eingerichtet. Dort dudelt es klassisch, junge Chinesinnen machen Selfies mit den Handies und Gestylte Paare lassen sich vo ihren Fahrern im Mercedes vorfahren.

Wir geben uns dem Genuss der Widersprüche hin: gönnen uns einen Drink im Nebengebäude unseres ehemaligen Hotels, das früher dem Besitzer der North China Daily, der größten englischsprachigen Zeitung China, gehörte, dann von der Partei betrieben auch Mao beherbergte, jetzt grundsätzlich renoviert zur Intercontinentel Gruppe gehört.  Hier haben wir 2001 noch eine Art Euro-Sino Anmachclub erlebt mit Lotterbett, dickbäuchigen deutschen Geschäftsleuten, die junge, zarte Chinesinnen abschleppten. Heute stehen in den perfekt renovierten Räumen 4 hübsche Kellnerinnen herum und debattieren darüber, wie Achims Campari zu servieren ist. On ice?

zum Essen gehen wir ganz bescheiden in einkleidest chinesisches Lokal. Da gibt es saubere Tischdecken und die Bedienung funktioniert perfekt, allerdings wäre ich auf dem wohl leicht fettigen Linoleumboden fast ausgeglitscht. Macht nichts, maskee, auch ein Lieblingswort meiner Mutter: alles schmeckte vorzüglich.

liebe Patti: ja du kennst bestimmt sehr viel, von dem, was ich hier schreibe: die Welt unser elterlichen Worte war geprägt von ihrer Welt hier:  Maskee (macht nichts), tschü (weg, zu einer Fliege), duzebuhao (Bauchschmerzen), dazu all die Straßennamen und die Namen der Freunde. Wir kannten alle, bevor wir sie sahen und manchmal trafen wir sie nie. Was mich immer gewundert hat: meine Mutter hat ganz selten von den schwierigen Zeiten berichtet, die sie und die Familie hier auch erlebt haben. All die Verluste: Häuser, Wohnungen, Besitztümer . Die Wunden, über die man nicht spricht. Oder nicht sprach. 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.