15. Mai, Chongqing

War schreibfaul in den letzten zwei Tagen, aber nicht wegen des Wetters, das uns erstaunlicherweise gut gesonnen ist. Kein Regen, keine feuchte Hitze wie üblich. Doppeltes Glück heißt „Chongqing“übersetzt. Hier fließen zwei Flüsse zusammen, auf der Landzunge dazwischen und an den Ufern ringsum wuchert die Megacity, die im Kern über 8 Millionen Einwohner, nach offizieller Rechnung über 30 Millionen hat, weil man die Vorstädte und das Landgebiet drumherum mitzählt. Die Anreise auf dem Jangzi bietet mal wieder eine großartiges Panorama. Aber wie das so ist mit den Großartigkeiten: man gewöhnt sich daran und findet sie alltäglich. Überraschend war dann eher, dass wir zu Fuß fast über 300 Meter über den Yangzi gehen mussten, über ganz einfache, schwimmende Pontons zur Kaimauer. Dann war noch eine hohe Treppe zu erklimmen, wir gönnten uns – wie die meisten – einen „Kuli“ (bittere Last“), einen Lastenträger, der unsere beiden Gepäckstücke rechts uns links mittels Tau an einer langen Stange befestigte und die Stufen hochschleppte. Oben Geschrei und Gewimmel, endlich erscheint Frau Han, eine etwas nervöse Dame, aber sehr hilfreich. Weiteres Glück: Unser Hotel ist wieder einmal super gelegen, am Rande des Zentrums, mit Blick auf den Jialing-Fluss, kurz bevor er in den den Yangzi mündet, unmittelbar in einer Anlage, die den für die Stadt früher tyischen hölzernen Pfahlhäusern nachgebaut wurde. Sehr touristisch, abends bunt beleuchtet und mit Geplapper der Besucherströme erfüllt. Unser Zimmer hat sogar einen Balkon, wir blicken auf eine von zahllosen Brücken, die erst im letzten Jahrzehnt gebaut wurden, auf die Hochhauskulisse auf der anderen Seite des Flusses.
Erster Gang in die Fußgängerzone der Innenstadt. Zwischen den Skryscapern, in denen die nobelsten Firmen der ganzen Welt ihre Luxusgüter präsentieren, zwei Reihen von alten Banyanbäumen, Ficus banyan, sagte Frau Han, die großbätterige Sorte. Um die Bäume herum ruhen sich die Leute auf hölzernen Bänken aus, klönen, beobachten die vorbeiflanierenden Shopper oder sie versammeln sich samt ihren Hunden, kleinen Mischlingen oder großen Huskies ( sehr beliebt) abends – wenn die Häuser ringsum bunt beleuchtet sind. Eine Megacity mit Flair, das finden wir auch später.
Nachmittags lassen wir uns zur großen Halle des Volkes ( 1951-1954 in Anlehnung an klassische chinesische Architektur für den lokalen Volkskongress erbaut) und zum neuen Museum (2003) fahren. Der große Platz dazwischen, mit einer Parkanlage und wiederum vielen Banyanbäumen, Bänken, einem Kiosk ect. wird Von der Bevülkerung genutzt. Neben einem Baum versammeln sich alte und jüngere Musiker, musizieren mit klassischen chinesischen Instrumenten, Geige und Querflöte, Leute hören zu, summen mit oder hocken auf Stühlen, spielen Karten, klönen. Unweit singt eine Sängerin ins Micro, begleitet von anderen Musikern und einem Radio. Was für eine fröhliche Versammlung.
Nachdem Achim zufrieden ist mit den Fotos, die er machen könnte, ziehen wir uns ins stillere Museum zurück, zuerst in das Café mit gemütlichen Sofas. In den Bücheregalen entdecke ich einen Fotoband über die Geschichte der Stadt. Er dokumentiert auch die Zeiten, in denen mein Vater hier lebte (1938-1941), schwierige Zeiten. Tschiang Kai Sheks Nationalregierung hatte nach der Eroberung Nankings durch die Japaner den Regierungssitz navh Chongxing verlegt. Die Kommunisten, die gemeinsam mit den Nationalen gegen die Japaner kämpften, hatten hier Posten, deutsche Firmen versuchten weiterhin mit den Chinesen Geschäfte zu machen, obgleich sich Hitler mit den Japanern verbündet hatte. Und die Japaner versuchten, diese Stadt einzunehmen, sie bombardierten. 1941 – nach Pearl Harbour – unterstützten die Amerikaner die Chinesen, lieferten kostenlos Waffen und halfen bei der Flugabwehr. Für Deutsche wurde es gefährlich.
Auch die Fotoausstellung im Museum über diese Zeit ist sehr interessant. Wir fragen uns jedoch, warum die erläuternden Texte nur in Chinesisch gehalten sind. In allen anderen Ausstellungssälen (über die Drei Schluchten und die 60 nationalen Minderheiten) ist alles gut ins Englische übersetzt. Wollen uns die Chinesen ihre Version dieser Zeit vorenthalten?

Wir bemühen uns, ihnen nichts schuldig zu bleiben – auch die Erfahrung des „Feuertopfes“ nicht. Ich überrede Achim, gleich am ersten Abend zu dem hiesigen Nationalessen in einem recht hübschen Lokal mit großartiger Sicht über den…Alles wunderschön angerichtet: vor jedem ein kleines Töpfchen mit einer Scheidewand zwischen roter und weißer, sprich scharfer und weniger scharfer Brühe, dazu Platten mit Pilzen, Gemüse, Lambfleisch und Hackröllchen zum Eintunken. Oje! Obgleich ich doch gerne scharf es… es brennt in meinem Mund wie Feuer, nicht nur, wenn ich meine Stückchen aus der scharfen Brühe fische. Tassen von Heißwasser helfen ein bisschen, das Bier schmeckt gar nicht! Feuertopf noch einmal? Nein danke. Achim lächelt in stillem Triumph vor sich hin, während er vor allem aus der weißen Soße angelt. Ich war noch nie für scharfes Essen, meint er.