7. Mai, Hangzhou

Liege auf dem Bett, Achim durch Nachtisch getrennt in dem anderen, frontaler Blick auf einen großen Fernseher, nach links durch das wieder vom Boden zur Decke reichende Fenster wieder eine Hochhauskulisse, statt vom 15. Stockwerk jetzt vom 18. aus zu betrachten. Dieses mal steht der nächste Koloss vielleicht 20 Meter entfernt und heißt Goethe Hotel. Unsere Unterkunft ist das Red Star Culture Hotel, der Name weist auf Parteizugehörigkeit hin, die Ausstattung aus den 80er Jahren auch: sicherlich mal das Modernste des Modernen mit dem Versuch, die Tradition hochzuhalten: chinesisches Mobiliar auf den Gängen, im Frühstücksraum, mit – zugegeben- schönen Motiven alter Rollbilder. Plüschige Nostalgie könnte man es auch nennen. Wir sind hier die einzigen Europäer und können uns an einem chinesischen Frühstücksbüffet bedienen. Mit Hühnerkrallen, Gemüsesuppe, Jaudzes verschiedner Art, Würstchen, Pfannkuchen, Teeeiern, Reisbällchen, Melone, Suppen ect., auch Toast, Butter, Marmelade (in Plastikdöschen aus Deutschland). Mir verschlägt das Angebot den Appetit, Achim greift gut zu. Wir erinnern uns an die ersten chinesischen Frühstücksbüffets vor 17 bz. 15 Jahren. Wie einfach, wie bescheiden dagegen. Einige Teeeier, Jaudzes, Reissuppe, Toast. Mir wird dieses Angebot mal wieder zum Symbol für den Stand der Konsumkultur. Wie auch im vorherigen Hotel (eine Klasse besser) stehen überall viele Mitarbeiter herum, sind z. T. träge, was die Bedienung angeht, haben sehr oft traurige oder frustrierte Gesichtsausdrücke, viele sind sehr jung. Die Hotelgäste um uns herum haben sich gut bedient, essen aber nicht alles auf. Verlassen sie den Tisch sieht es ziemlich wüst aus. Eine Mitarbeiterin kommt mit einem Wägelchen, um den Tisch vom Müll zu leeren.
Eine Stunde dauerte die Fahrt vom Shangaier Bahnhof hierher. Es war wie ein Tripp in einer bisher nur im Science Fiction Film gesehenen Welt: Hochmoderner Bahnhof in Shanghai, vielleicht 1 km lang, 500 breit. Dagegen ist der Berliner Hauptbahnhof ein Winzling. Und alles strategisch inszeniert. An den Wänden ringsherum Läden, Schalter, Zugang zu den Gleisen, in der Mitte die riesige Wartehalle mit langen Reihen von Sitzplätzen. Zutritt nur mit Karte (mit nummeriertem Sitzplatz) und nach Gepäckkontrolle. Wie bei Flügen. Wie anders war das beim letzen Mal, als wir mit dem Zug nach Tsingtau fuhren. Auch die Menschen, die mitfahren, sehen meist anders aus als damals: keine Bauern mit Säcken oder Körben, keine Arbeiter in schwarzen Anzügen, denen man ansieht, dass sie nicht viel gekostet haben, viele junge Leute in T-Shirt und Jeans ( es ist ein heißer Tag), viele Frauen in bunten Kleidern. 1/4 Stunde vor Abfahrt des Zuges Anstehen am Gleiszugang. Nochmalige Kontrolle. Lange Schlange, kein Gedrängel. Der Zug gleicht unseren ICE Zügen. Alle Wagen (?) wie neu, gepflegt, Müll von vorheriger Reise gerade entsorgt. Vor jedem Halt geht jemand herum und lässt sich den Müll in eine Plastiktüte werfen. Alle Sitze sind besetzt. Abfahrt bald auf 220 km Geschwindigkeit. Die Gegend draußen platt, Häuserreihen, viele Kanäle, Baumplantagen, Fabrikanlagen, Gewächshäuser in Plastik ect. Nicht gerade reizvoll. Kein Platz mehr für Natur. Vor Hangzhou wieder Hochhausblöcke. Geräuschlose Einfahrt in den Bahnhof, ein riesig langes Gleis neben wievielten anderen? Achim fotografiert und fotografiert, wir wandern als letzte herunter, erneut Kontrolle. Und Empfang von einem sehr jungen Chinesen, Alexander, und dem Fahrer, die uns zum Hotel bringen.
Soweit, so gut. Fortsetzung folgt später.
Hier die Ergänzung für den Freitag. Mit Alexander, der Wang Hu Dong heißt, ein 23 Jahre alter Reisegruppenführer, vom Hotel durch die Nähe Altstadt, deren Häuser seh viel besser aussehen als vergleichbare in Shanghai, ebenso die Einkaufsmeile im alten Stil, viele Häuser sind wirklich alt. Unser Ziel: eine Apotheke für chinesische Medizin. Sie wurde Mitte des 19. Jahrhunderts eröffnet und hat die Zeiten unzerstört überdauert. Berkenswert. Noch immer werden die Kräuter hier nach alter Weise gewogen, gemischt, verpackt. Man kann die wichtigsten Ingredienzien hinter Glas bestaunen, u.a. ein pilzartiges Gewächs gegen Krebs, irreteuer. ich erstehe ein Mittel gegen die Bronchitis.
Später mieten wir mit As Hilfe Fahrräder für morgen, trinken einen Latte mit Ihm bei Starbucks, wandern zu zweit mit Massen am Ufer des Westsees entlang, bewundern die Parkanlagen mit uralten Bäumen, u.a. ein 800 Jahre alter Kampferbaum, und Gebäude im alten chinesischen Stil, lassen uns von einem Bootsführer zur Fahrt über den See anwerben und tuckern in einer Gruppe Chinesen im Abendlicht über See. Sehr romantisch. Drachenboote und andere Boote neben uns, am Ufer die tradionell anmutende Promenadensilhouette vor der Hochhausszenerie. 8 Millionen Einwohner soll Hangzhou laut A. haben, obwohl es Chinas beliebteste Touristenstadt ist und am Wochenende von Besuchern nur so überquillt, scheint es hier zivilisierter zuzugehen: die Auto halten am Zebrastreifen, wenn Fußgänger die Straße überqueren. Aber: an jeder Ecke stehen mindestens 2 Polizisten, jede Übertretung wird sofort geahndet.

Hangzhou, 6. Mai 2016, Rückblick

Gestern Abend kein Internetanschluss. Schreibfrei. Weiter in „Die Reisen des Marco Polo“gelesen, eine Goldmann Taschenbuchausgabe. Was für ein Abenteuer war Reisen damals, mit welchen Risiken verbunden. Was für eine Freude, die Welt neu entdecken zu können. Jetzt scheint alles entdeckt. Stimmt natürlich nicht.

Wir sitzen im Besprechungsraum von China Tours in einem Hochhaus in Pudong, ein schlichtes Zimmer mit Tisch und Stühlen, einige Meter über dem Büro, wo circa 10 sehr junge Angestellte vor Computern sitzen. Die Firma heißt hier 1 Million Voices, weil in China kein Privatunternehmen das Wort China im Titel tragen darf. Es organisiert Kulturelle Projekte mit verschiedenen Ländern. Celine Hu, die örtliche Büroleiterin, serviert Tee. Nach einigen Gesprächen will sie Achim für diverse Aktionen hier gewinnen. Sie hatten schon in Deutschland Kontakt. Die kleine, zarte Midreißigerin, schick in weiß-rosa Kleid mit dunklen Strümpfen und hochhackigen Schuhen, redet schnell in recht gutem Deutsch, sie hat in Heidelberg studiert. Ausstellung in Shanghai? Kein Problem. Ein Museum hat Interesse. Auch eine Bank. Termine mit den Betroffenen? Für heute anberaumt. Ansonsten: ob er nicht Fotoworkshops anbieten wolle. Jeweils zwei Wochen in der Ferienzeit. Die Studenten hier seien sehr interessiert. Langsam, langsam. Achim will ihr erstmal seinen Katalog zeigen. Sie durchblättert ihn schnell, sichtbar ohne Interesse. Leider wird aus dem Besuch im Museum nichts, die Leitung hat noch nicht ihr „Okay“ gegeben. Es ist ein staatliches Museum. Kostet mich so eine Ausstellung etwas? Raummiete. Wieviel? 10.000 am Tag. Renmembi oder Euro? keine Antwort, wie schon vorher bei der Frage nach Kosten am Telefon nicht. Aber es kann werden, nicht die Hoffnung aufgeben. Wir bemühen uns um Projekte. Eins sind Oldtimerfahrten von Deutschland nach China und umgekehrt. Das sind schwierige Unternehmen, vor allem, wenn reiche Chinesen mit ihren Autos mitfahren, erzählt Celine. Die haben kein Benimm, sind einfach nur reich und wollen immer nur Chinesisch essen. Das geht natürlich garo nicht, in Russland oder der Türkei. Und da hatten wir bei der ersten Tour 2 Männer dabei, die haben gesagt, kein Chinesischessen? Das machen wir nicht mit. Sie waren am nächsten Morgen abgeflogen, hatten einfach ihre teuren Autos stehenlassen, als Schrott. Die konnten wir dann entsorgen.

Nächste Szene: Nach der Taxifahrt mit Celine zum Bund, auf die andere Seite des Huangpu sitzen wir zu dritt in einem kleinen Besprechungszimmer einer Privatbank aus Singapure. Vor uns ein Bankangestellter, ein vielleicht 30jähriger schon leicht verfetteter Chinese. Er äußert großes Interesse an einer Fotoausstellung von einem deutschen Fotografen, wie uns Celine vermittelt, hat nur einige Fragen. Sie betreffen vor allem das Wie und Was und Wo der Ausstellung. Alles scheint machbar, alles möglich, die Bank will kein Geld für die Räume. Es ist eine Bank für ganz Reiche, die werden persönlich eingeladen. Die Philosophie des Besitzers: Föerderung von Kultur und Kindern. Ob der Fotograf bereit sei, auch zwei Fotos für die Sammlung des Besitzers zu spenden? Ob er die Räumlichkeiten, die man gerade renoviert habe, für die Kunden zu fotografieren? u.s.w. Zum Schluss des Gesprächs besichtigen wir die Räumlichkeiten im ersten Stock. Luxuriös eingerichtete Besprechungszimmer mit Sofas und zwei prunkvollen alten chinesischen Stühlen. Für Fotos an den Wänden wenig Platz.
Man könnte, sagt Celine, auch den Treppenaufgang nutzen. Der Bankangestellte nickt: alles machbar. Er hat einen schlaffen Händedruck, als wir uns verabschieden.

Und noch ein Besuch an diesem Tag, das Goetheinstitut in Shanghai, dass sich auf Anweisung der Chinesen nicht Goetheinstitut nennen darf und durch besondere Konstruktion eine Abteilung des Konsulats ist. Der Leiter hat Zeit bis halb sechs, dass er pünktlich Feierabend machen will, ist klar. Ein freundlicher, vielleicht 40jähriger Herr Dr., der keinen Hehl daraus macht, dass er sich freut, bald versetzt zu werden. Schwierig, die Chinesen, jeder nur auf seinen Vorteil bedacht, rücksichtslos. Und die Luft und das Wetter und…

Die schlechte Luft macht mir inzwischen auch zu schaffen, ich habe eine leichte Bronchitis.

Nicht sonderlich traurig am Morgen um 7 Uhr letzte Blicke aus dem Fenster ins Hochhauspanorama. Wie gestern ein grauer Smogschleier über und in der Stadt, sehr stickig, meine leichte Bronchitis hatte mich nachts heftig husten lassen.

4. Mai, Rückblick

Manche Tage sind mühevoll und erschöpfend, auch wenn der Himmel strahlt und ein Wind weht, der den Smog wegbläst (vorgestern). Gestern brannte die Sonne so, dass ich am liebsten im Schatten wanderte. Ein kurzer Besuch im ehemaligen Shanghai Club, Treffpunkt aller Geschäftsleute, die es sich leisten konnten, angeblich mit der längsten Bar der Welt. Ob mein Großvater hier seinen Whiskey getrunken und Geschäfte abgeschlossen hat? Frauen war der Zutritt natürlich verboten. Jetzt ist das Gebäude renoviert und erweitert zu einem exquisiten Hotel, die Bar war noch geschlossen, so früh am Tag. Dafür leisteten wir uns zwei Café Latte auf der Empore des bestimmt 50 Meter langen neuen Speisesaals mit Blick auf einen Springbrunnen in einen kleinen Garten. Die Kellnerin, eine zarte Chinesin, trug ein wunderschönes hellgraues brokatenes Jackett zu einer gleichfarbigen weiten Hose aus fließender Seide. Noblesse oblige, ich hätte mich auch gern in dem Auzug gesehen. Die Rechnung überreichte sie mit beiden Händen, sich lächelnd verbeugend. Neben uns die chinesische Einkindfamilie, Geschäftsmann im dunklen Anzug, seine Frau, die Tochter, alle drei mit groben bäurischen Gesichtern, verfettet, der Mann dröhnte laut auf seine Entourage ein. Achim fotografiert mich in der prunkvollen Eingangshalle vor einem riesigen Orchideenbukett. Die Neureichen inszenieren sich im Glanz der Alten. Und wir Touris auf andere Art. Dass ich Chen Danyan,eine hier sehr bekannte Shanghaier Autorin durch Vermittlung von Martina Hasse, der Übersetzerin, treffen könnte, war mein „Highlight“ des Tages, vielleicht sogar das dieses Aufenthalts. Ich habe eins ihrer Bücher (über den Shanghaier Bund) für StuDeO besprochen, das war das Entrée. Eine bemerkenswerte Dame, schlicht und hochgebildet, vor allem fast weise, schien mir, wie sie über ihre eigene Geschichte und die Verheerungen der Kulturrevolution redete, über ihre Art, in der Welt zu sein, über ihre Sicht auf die Entwicklung in China. Kein Urteil, nur Verwunderung und auch Erschrecken über diese Gier nach Geld, die alle antreibt, wie sie sagte. Sie selber kenne dieses „craving“ nicht, aber sie habe es auch gut gehabt in der Kindheit, anders als die meisten, bis zur Kulturrevolution (der Vater leitete ein Staatsunternehmen), sie war die geliebte Tochter. Dann kam der Vater in ein Lager, die Mutter musste am Fließband arbeiten, sie war allein, hatte aber viele Bücher zu lesen, die ganze europäische Literatur in Übersetzungen aus den 20er und 30er Jahren. Traumata sind also auch anders zu bewältigen als in anstrengenden Kaufräuschen. Nicht nur die meisten der Chinesen huldigen diesem Wahn, die meisten der Deutschen ebenso, und wir auch manchmal, oder? Besteller-Autorin ist Chen Danyan hier mit Reiselitertur, in der sie ihren Chinesen über Literatur und Kultur der Städte und Länder erzählt, in denen sie reist.Achim hat sie am Ende des Gespächs fotografiert, vielleicht stelle ich später einmal ein Foto von ihr in den Block.

4. Mai, kleine Szenen, gestern

ich sitze am Schreibtisch vor dem Fenster, schreibe und starre ab und zu hinaus in die Hochhausdisneyworld.  Auf dem  Huangpu, der wie ein kleiner Balken horizontal zwischen den Skyscrapern tags grau und abends mit gespiegelten Lichtstreifen erhellt durch das Bild fließt, bewegen sich Schiffe der unterschiedlichsten Art. Das alles könnte auch ein Computerbild sein.

Ich wandere an den Hochhäusern längs auf der Suche nach einer Bank, um Geld von meiner Kreditkarte abzuheben. Schon zwei vergebliche Versuche. Bin extra noch einmal ins Hotel zurück, um auch Bargeld mitzunehmen. Eine riesige Steintreppe hinauf, eine Glasfront entlang.  Eine Tür wird mir von einem Portier geöffnet. Wir verständige uns mit Handzeichen. Er zeigt mir den Weg zum Automaten. Eine weitere Enttäuschung. Zurück zum Portier. Erneute Verständigung per Hand. Er zeigt mir den Weg zur Schalterhalle, an deren beiden Längsseiten sich jeweils mindestens 20 Schalter befinden., nur 3 besetzt.  Vor einem Terminal eine Gruppe von Leuten in Uniform. Eine Frau weist mich an, einen Zettel aus einer Box zu ziehen. Die Nummer darauf scheint eine Terminalnummer zu sein. Vor meinem sitzen 3 Menschen. Aha. Meine Warteschlange. Nach einer halben Stunde bin ich an der Reihe. Die junge Frau, die mich hinter einer Glasscheibe bedient, breites Gesicht mit kleinen Augen und einer Knollennase, spricht ein bisschen Englisch. Ihre Bwegungen sind  präzise. Was sie alles macht, verstehe ich nicht. Ich muss meinen Pass zeigen und werde wieder einmal fotografiert. Dann noch die Unterschrift. Eine weitere Viertelstunde ist vergangen. Als ich das Gebäude verlasse, gehe ich an den immer noch debattierenden Leuten vorbei,es sind mindestens zen. Was reden die wohl die ganze Zeit?

In der Shanghai Library. Ich will online in der ältesten englischsprachigen Zeitschrift, The North China Daily, lesen. Das soll hier möglich sein, schrieb mir ein Informant der Bosch-Stiftung. Ohne große Mühe beantrage ich  einen Leseausweis an einemTerminal online.  An einem Schalter sitzen mindestens Leute in der Reihe, die auf Antragsteller warten, um Anträge entgegenzunehmen. Dieses Mal werde ich sehr schnell bedient. Im 4. Stock, dem Leseraum für fremdsprachige Zeitungen, versuchen gleich zwei Bibliothekarinnen, mir zu helfen. Obgleich ich die Katalognummer habe, dauert es eine Viertelstunde, bis sie nach intensiver Durchforstung des Internets ( sogar Google, das ich hier nicht einsehen kann, wird benutzt) ehe sie eine dritte Kollegin rufen, die besser Englisch spricht. Ich gebe den Tipp, dass das Original in einer anderen Bibliothek aufbewahrt wird. Anruf. Stimmt. You must go there. Freudiges Nicken. Alle drei eifrig bereit, mir den Weg zu erklären. Ich dankbar über die Hilfsbereitschaft.  Während unseres Gespächs ( bestimmt eine halbe Stunde) ist ein Mann mit einer Gießkanne herumgegangen und hat die zahlreichen Pflanzen in der Umgegend gewässert, auch die Aralie auf dem Schreibtisch meiner Helferinnen. Er scheint eigens für die
Aufgabe abgestellt. Mache mich auf den Weg.  Am Fahrstuhl schieben zwei ältere Frauen einen Wagen voller Blumentöpfe heran. Offensichtlich auch Pflanzenpflegerinnen. So etwas gibt es hier! Ich fange an, sozialistische Errungenschaften zu bewundern, ich zähle den Einsatz der Bibliothekarinnen dazu.

2. Mai 2016

Gerade versucht, ein Foto hier einzustellen, jetzt klappt das nicht, obgleich ich jetzt auf die Blockseite komme und Rüdiger so nett war, meinen Bericht vom ersten Tag hier einzustellen. 

Nach 30 Grad Hitze mit leicht vom Dunst getrübter Sonne gestern Smog und Regen. Werde euch nicht mit den Kleinigkeiten des Alltagsleben von Individualtouristen (z.B. Simkartenkauf ect.) belatschern, sondern gleich in Media res kommen: Ich steige aus der U-Bahn und stehe vor dem Cathay’s, dem Amateurtheater, in dem unsere Mutter und auch ihre Schwestern regelmäßig Lauf der Bühne standen.  Banale Aufführungen, ihre größte Rolle: die Eboli in Schillers Don Carlos. Sie deklamierte immer die Anfangssätze: Die schönen Tage von Aranjuez sind jetzt zu Ende. Könnte man als ihr Lebensmotto nach der Rückkehr aus Shanghai ins kriegszerstörte Deutschland deuten. Der Art-Deco Bau wird heute als Kino genutzt, viele Bauelemente sind noch erhalten: Die Eingangstür, der Fußboden, der Lüster.

Aber ich wandere nicht nur auf ihren, auch auf meinen Spuren, als ich die Huahai Lu heruntergehe,  Hier in der ehemaligen französischen Consession haben wir 1999 während unserer ersten Chinareise im Ruijin Hotel gewohnt. Eines der schönsten Viertel, finde ich, mit  zweistöckigen Shikumenhäusern ( sie haben im Erdgeschoss einen Laden). Manche noch immer unrestauriert, einige abgerissen und durch Hochhäuser ersetzt, einige Blocks für die Wohlhabenden im alten Stil wieder aufgebaut. Etwas für die Schickeria, ja, und mit wunderbaren Flair durch die Reihen von Platanen, die die Bürgersteige säumen und die Straßen wie Schirme überdachen. 1999 waren sie gerade gepflanzt worden. Damals haben wir die chinesischen Gärtner bewundert, die den Stamm recht großer Bäume mit Bast umwickeln, um sie unbeschädigt einsetzen zu können. Jetzt also das Resultat. Auch eine Maßnahme gegen den Smog.

Zu meiner großen Freude finde ich den alten  Jaudzes-Kiosk gegenüber dem Hotel wieder. Zwei offene Fenster,  riesige Wasserkessel mit brodelndem Wasser, darauf die Bambusstapelkörbe mit den Teigtaschen. Verständigung mit den Verkäufern, die zu dritt oder viert hinter der Theke stehen, mit Fingerzeichen.  In der Gegend finde ich auch den Old China Hand Reading Room, im Stil der 20er Jahre eingerichtetes Café mit Buchregalen voller englischer und chinesische r Literatur und einem Büchertisch mit den Werken von Tess Johnson und einem chinesischen Fotografen, die sich verdient gemacht haben mit Text- und Bildbänden zur Lokalgeschichte.  T.J. Hatte ich 1999 interviewt. An den Tischen sitzen vor allem Chinesen und Lesen. Ein angrenzender Raum ist mit chinesischen Möbeln ausgestattet. Wie still es hier ist. Alle sprechen mit gedämpfter Stimme. Eine Oase in der lauten Stadt.

Achim, der seine eigenen Wege gegangen ist, treffe ich wieder im Fuxin Park in der Nähe, unter der Marx- Engels Statue. Die ist nicht demontiert, wirkt aber weniger imposant, die Bäume ringsum, Ahörner, Platanen ect., haben sie überwachsen.  Chapeau an die Natur, die in diesem Park “ englisch“ angelegt ist, also ein bisschen wuchern darf. Auch die Menschen, viele Alte, aber auch junge, breiten sich eigener aus als an den zeitgenössischen Konsumtempeln: sie stehen in Gruppen zusammen und debattieren lauter als eine schnatternde Gänsehorde, sie lassen Tanzmusik aller Art vom Recorder abspielen und tanzen in Paaren oder für sich dazu, sie sitzen zusammen und kloppen Karten oder sprechen laut in ihr Handy.  Auch das haben wir damals erlebt. Es ist, als sei die Uhr stehengeblieben. Ein Trugschluss: die Bar 99 an der Ecke wird gerade zu einem riesigen Restaurant umgebaut, die Galerie nebenan, in der der Schweizer Helbling junge chinesische Künstler ausstellte, ist längst in größere Räumlichkeiten umgezogen und für die Schickeria in der Gegend wurde ein dem Old China Hand Bookstore ähnelndes Café an der Ecke eingerichtet. Dort dudelt es klassisch, junge Chinesinnen machen Selfies mit den Handies und Gestylte Paare lassen sich vo ihren Fahrern im Mercedes vorfahren.

Wir geben uns dem Genuss der Widersprüche hin: gönnen uns einen Drink im Nebengebäude unseres ehemaligen Hotels, das früher dem Besitzer der North China Daily, der größten englischsprachigen Zeitung China, gehörte, dann von der Partei betrieben auch Mao beherbergte, jetzt grundsätzlich renoviert zur Intercontinentel Gruppe gehört.  Hier haben wir 2001 noch eine Art Euro-Sino Anmachclub erlebt mit Lotterbett, dickbäuchigen deutschen Geschäftsleuten, die junge, zarte Chinesinnen abschleppten. Heute stehen in den perfekt renovierten Räumen 4 hübsche Kellnerinnen herum und debattieren darüber, wie Achims Campari zu servieren ist. On ice?

zum Essen gehen wir ganz bescheiden in einkleidest chinesisches Lokal. Da gibt es saubere Tischdecken und die Bedienung funktioniert perfekt, allerdings wäre ich auf dem wohl leicht fettigen Linoleumboden fast ausgeglitscht. Macht nichts, maskee, auch ein Lieblingswort meiner Mutter: alles schmeckte vorzüglich.

liebe Patti: ja du kennst bestimmt sehr viel, von dem, was ich hier schreibe: die Welt unser elterlichen Worte war geprägt von ihrer Welt hier:  Maskee (macht nichts), tschü (weg, zu einer Fliege), duzebuhao (Bauchschmerzen), dazu all die Straßennamen und die Namen der Freunde. Wir kannten alle, bevor wir sie sahen und manchmal trafen wir sie nie. Was mich immer gewundert hat: meine Mutter hat ganz selten von den schwierigen Zeiten berichtet, die sie und die Familie hier auch erlebt haben. All die Verluste: Häuser, Wohnungen, Besitztümer . Die Wunden, über die man nicht spricht. Oder nicht sprach. 

1. Mai, Tag der Arbeit

hoffentlich wird dieser Beitrag zu senden sein, es ist das erste Mal, dass ich Zugang zu dieser Seite habe, allerdings nicht die erste Notiz.  Noch zuversichtlich, vielleicht kann ich die anderen Notizen anhängen. Das „Shanghai on the Bund“ ist ein recht luxuriöses Hotel, gelegen in Hungiao, von unserem Zimmer im 15. Stock ein spektakulärer Blick über den Fluss auf das neue Finanzzentrum Pudong.  ich versuche, das Foto anzuhängen. Wir gönnen uns den Komfort hier, heute Morgen um 7 Uhr im Pool schon im Pool geschwommen, danach Das internationale Frühstück mit Shanghai-Reis Nudeln, French Toast, Englisch Toast, deutschem Käse ect. Dann raus ins Gewühl zur Zhongdang Lu, ehemalig der Bund, die Prachtstraße am Huangpu-Fluss. Menschen aus ganz China reisen zu diesem Tag an, sie habe meist eine Woche Freizeit, eine der wenigen Urlaubstage. 1999 waren wir auch zu dieser Zeit hier. Was hat sich nicht alles verändert! Keine Straßenverkäufer auf der Promenade, kaum ein Mensch im Maoanzug, ganz viele Handybesitzer, die Selfie mit Teleskopstangen von sich machen. Und statt der Radler meist Motorradfahrer mit sehr leisen Elektromotoren. Achim fotografiert, ich mache Tonaufnahmen, die Sonne sticht mit 30 Grad auf unsere Köpfe, nach mehr als zwei Stunden total erschöpft. Pause bei einem Tee im vornehmen Peace Hotel, erbaut Anfang der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts von einer der reichen „Bagdadjuden“, die – glaube ich – schon seit dem 19. Jahrhundert hier lebten. Als wir letztes Mal hier waren, musste ich auf die Toilette, in der – als ich sie betrat – einige Chinesinnen bei geöffneten Türen auf den Klos saßen und sich mit ihren Genossinnen im Vorraum unterhielten. Die Ausstattung war noch so wie beim Bau des Hauses. Heute musste ich in dem grundlegend nach altem Stil renovierte Gebäude die Kellnerin rufen. Sie öffnete mir die Räume mit einem Chip. Natürlich sind sie ganz im westlichen Stil renoviert, mit viel Marmor ect. Dass dieser Standart nicht überall durchgehalten ist, davon zeugen die Toiletten in den U-Bahnhöfen: Stehklos wie in Frankreich annodunnemals. Trotzdem: die U-Bahn ist zu preisen. 12 Linien nach neuesten Standard mit englischer Beschriftung und englischen Ansagen. Wir finden uns da sehr gut zurecht.

Nach der Erholung raus ins Gewühl auf der Nanjing Lu, der Haupteinkaufsstraße. Alle Geschäfte waren geöffnet, wie jeden Sonntag. Wir bogen ab nach links, in die Szechuan Lu, immer noch eine Fahrrad- bzw. heute Motorroller- Straße. Hier hatte unser Großvater sein Geschäft, auch die Defag und die Agfa waren hier angesiedelt, in einem wunderschönen Jugendstl- Bürohaus, erbaut von einem ungarischen Architekten 1925. Wer weiß, wie das Gebiet davor aussah. Der erste oder der zweite Bauboom hatte bestimmt auch den Abriss alter Wohngebiete zur Folge. Heute könnten wir den Abriss alter zweistöckiger  Shikumenhäuser in schmalen Gassen registrieren, in denen bei unserem letzten Besuch noch das Leben „brummte“.

Ich schreib mal kürzer, sonst liest keiner mehr.

kleiner Imbiss in einer Imbissbude, mehrere Wantans bzw, Jaudzes (Teigtaschen) für circa 1.80 Euro, das machte den Luxus- Tee im Peace Hotel (15 Euro) wieder wett.

Danach mit einer Taxe zum Renmin Park, das war früher eine riesige Rennbahn fast mitten in der Stadt und ist heute der größte Park mir spektakulären neuen Bauten, Theater, Museum, dem Zentrum für Stadtentwicklung, in dem in einem riesigen Modell die Pläne der Architekten für den Ausbau Shanghais gezeigt werden. Statt es noch einmal zu besuchen, gingen wir schon recht fußlahm zum Parkhotel an der Ostseite, zu Zeiten seines Baus mit 13 Stockwerken das höchste Gebäude der Stadt. Ein wunderschöner Art-Deco Bau, auch von dem Ungarn Hudec.  Damals das In-Hotel für Shanghais Schickeria, heute nicht mehr ganz so in, schien uns.

Und dann?  Ziemlich ausgepowert in die U-Bahn und ins Hotel. Wir liegen auf den Betten, schauen hinaus in die Hochhauswelt, nicht alle der Riesen sind so grell beleuchtet wie gestern. Da fühlten wir uns wie in Disneyworld.